Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht

Die Einbettung der verstärkten Zusammenarbeit, des Schengener Rechts und anderer Formen von Ungleichzeitigkeit in den einheitlichen rechtlichen und institutionellen Rahmen der Europäischen Union

Die Doktorarbeit von Daniel Thym wurde im Jahr 2004 an der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigt und mit dem Humboldt-Preis ausgezeichnet. Die Veröffentlichung der originalen PDF-Dateien erfolgt mit Zustimmung des Verlags. Der Inhalt wurde anlässlich der erstmaligen Veröffentlichung wie folgt beschrieben:

„Die Europäische Union befindet sich im Umbruch. Ein neues Strukturelement ihrer Verfassungsentwicklung ist die ungleichzeitige Nichtbeteiligung einzelner Mitgliedstaaten an der Geltung und Annahme europäischer Rechtsakte. Hierbei sind die Währungsunion, das Schengener Recht und der allgemeine Mechanismus der verstärkten Zusammenarbeit die prominentesten Formen von Ungleichzeitigkeit. Doch steht Ungleichzeitigkeit im Einklang mit den hergebrachten Grundsätzen der europäischen Rechtsordnung und dem Konzept einer Verfassung der Union? Ja. Die Verfahren und Voraussetzungen der Vertragsbestimmungen zu Ungleichzeitigkeit und die Rechtspraxis auf ihrer Grundlage zeugen bereits von der Einbettung in den einheitlichen rechtlichen und institutionellen Rahmen. Darüber hinaus garantieren allgemeine Regeln des Europarechts die dogmatische Verbindung von Ungleichzeitigkeit mit den Grundprinzipien der europäischen Rechtsordnung. Schließlich zeigt auch die verfassungstheoretische Analyse, dass Ungleichzeitigkeit nicht im Widerspruch zur europäischen Verfassung steht, sondern in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ein integraler Bestandteil des europäischen Verfassungsrechts darstellt.“

Nomos, Baden-Baden, 2004 ISBN: 3-8329-0511-1


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Inhaltsübersicht und Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Kapitel 1       Grundlegung 

                                                                                               

ERSTER TEIL         FORMEN VON UNGLEICHZEITIGKEIT

Im ersten Teil werden die verschiedenen Formen von Ungleichzeitigkeit vorgestellt, die in den vergangenen Jahren Eingang in die europäischen Verträge fanden. Es geht darum, den Anwendungsbereich der jeweiligen vertraglichen Normierungen und ihre Bedeutung für die Rechtspraxis aufzuzeigen. Hierbei wird deutlich, dass Ungleichzeitigkeit keine abstrakte Möglichkeit, sondern gelebte Realität ist. Die verstärkte Zusammenarbeit ist die potentiell bedeutendste Erscheinungsform. Sie erlaubt den europäischen Organen, in nahezu allen Politikbereichen in Einzelfällen ungleichzeitiges Europarecht mit Wirkung für einige Mitgliedstaaten zu setzen (Kapitel 2). Nicht weniger instruktiv sind die Sonderpositionen des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Auf ihrer Grundlage entwickelte sich durch die Integration des Schengener Rechts und den Erlass neuer Rechtsakte in den vergangenen Jahren ein quantitativ umfassender ungleichzeitiger Besitzstand (Kapitel 3). Die Ungleichzeitigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion ist zwar der breiteren Öffentlichkeit bekannt, wirft aber in erster Linie spezielle Rechtsprobleme auf, die auf der besonderen institutionellen und rechtlichen Struktur dieses Rechtsgebiets gründen (Kapitel 4). In der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik steht die Binnendifferenzierung in einem politischen Spannungsverhältnis zu dem Wunsch nach einem möglichst einheitlichen Auftreten der Europäischen Union gegenüber Drittstaaten (Kapitel 5). Schließlich ist auf den ungleichzeitigen Sonderfall völkerrechtlicher Verträge einiger Mitgliedstaaten einzugehen, die aufgrund vertraglicher Normierungen eine besonders enge Verbindung mit dem Europarecht aufweisen (Kapitel 6).“

Kapitel 2       Verstärkte Zusammenarbeit   

Kapitel 3       Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Kapitel 4       Wirtschafts- und Währungsunion

Kapitel 5       Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik   

Kapitel 6       Völkerrechtliche Verträge einiger Mitgliedstaaten

             

ZWEITER TEIL       ALLGEMEINE REGELN DES EUROPARECHTS BEI UNGLEICHZEITIGKEIT 

„Eine Vielzahl von Rechtsfragen stellt sich bei den verschiedenen Formen von Ungleichzeitigkeit in gleicher Weise. Im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung werden daher allgemeine Regeln entwickelt, die die die im ersten Teil erörterten Vertragsbestimmungen ergänzen und konkretisieren. Diese allgemeinen Regeln sind ein wichtiger Baustein für die harmonische Einordnung von Ungleichzeitigkeit in das europäische Verfassungsrecht. Ihre Existenz und Ausgestaltung unterstreicht, dass die verschiedenen Formen von Ungleichzeitigkeit in den einheitlichen rechtlichen und institutionellen Rahmen der Europäischen Union integriert sind. Einrichtung, Zuständigkeit und Struktur der europäischen Institutionen sind eine zentrale Erfolgsbedingung der europäischen Integration, die bei Ungleichzeitigkeit nur begrenzt modifiziert wird (Kapitel 7). Ein Charakteristikum des EU-Rechts sind Grundprinzipien wie des Subsidiaritätsprinzips oder des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, deren Verhältnis zu den untersuchten Phänomenen zu bestimmen sein wird (Kapitel 8). In der Außenvertretung kommt dem einheitlichen Auftreten eine besondere Bedeutung zu (Kapitel 9). Abschließend ist aufzuzeigen, in welchem Umfang völkerrechtliche Kooperationen einiger Mitgliedstaaten nach den allgemeinen Regeln des Europarechts zulässig sind (Kapitel 10). Bei all den Überlegungen zeigt sich, dass die Erscheinungsformen von Ungleichzeitigkeit kein Fremdkörper in der europäischen Rechtsordnung sind, sondern aufgrund der allgemeinen Regeln in diese integriert ist.“

Kapitel 7       Einheitlicher institutioneller Rahmen

Kapitel 8       Grundprinzipien des Europarechts     

Kapitel 9       Externe Dimension

Kapitel 10     Völkerrechtliche Kooperationen der Mitgliedstaaten

             

DRITTER TEIL        VERFASSUNGSTHEORETISCHE EINORDNUNG 

„Der Europäische Rat von Laeken gab dem Europäischen Konvent und der nachfolgenden Regierungskonferenz die Fragestellung mit auf den Weg, ob die Vereinfachung und Neuordnung der Verträge „im Laufe der Zeit nicht dazu führen könnte, dass in der Union ein Verfassungstext angenommen wird.“ Dies bezieht sich auf die Annahme einer formellen Verfassungsurkunde, die den Begriff „Verfassung“ im Titel trägt. Unabhängig hiervon kommt die verfassungstheoretische Analyse zu dem Schluss, dass die europäischen Verträge ihrem Wesen nach schon heute als Verfassung zu qualifizieren sind. Die Grundannahmen dieser europäischen Verfassungstheorie sind im ersten Kapitel dieses dritten Teils aufzuzeigen (Kapitel 11). Auf ihrer Grundlage sind abschließend die Rückwirkungen auf die verfassungstheoretische Einordnung der EU-Verträge zu erörtern: Steht Ungleichzeitigkeit im Widerspruch zum Verfassungsgedanken? Ergeben sich aus dem Verfassungscharakter inhaltliche Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung künftiger Vertragsbestimmungen oder verlangt die Annahme einer Verfassung eventuell die Herstellung von Gleichzeitigkeit?“

Kapitel 11     Europäische Verfassung? Eine Standortbestimmung

Kapitel 12     Ungleichzeitigkeit und europäische Verfassungstheorie   

ZUSAMMENFASSUNG IN THESEN

ENGLISH SUMMARY